"Umstrittener Brandherd"

Die Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren' und der DFB
sport inside - 22:45 Uhr (WDR)


Pyrotechnik bleibt in deutschen Stadien verboten. Die klare Absage des DFB beendete den Dialog mit den Ultras wegen eines kontrollierten Abbrennens. Pyros spielen in der Debatte über Gewalt in Fußballstadien eine zentrale Rolle. Regelmäßig schmuggeln die Fans Feuerwerkskörper durch die Kontrollen. Während einige lediglich ihre bengalischen Feuer abbrennen und darauf achten, niemanden zu gefährden, fackeln andere auch Raketen und Rauchbomben in den Blocks ab. In einigen Fällen wurden Signalraketen sogar gezielt auf die Tribüne der gegnerischen Fans geschossen. Dass all das gefährlich sein kann, steht außer Frage. Doch was hat die Pyrotechnik wirklich mit Gewalt zu tun? Das Verbot scheint jedenfalls keine Lösung. (Text WDR)

pyro cologne 2011


Eintritt in eine andere Welt. Chemnitz, ein altes Strassenbahndeport unmittelbar in der Nähe des Stadions. Der Treffpunkt der Ultras des Drittligisten. Hier sind wir mit Ronny Licht verabredet. Er ist Ultra und einer von drei Sprechern der Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren'. Ein bundesweiter Zusammenschluß von über 50 Ultragruppen, der hier in Chemnitz seinen Ursprung hat. Ronny Licht zeigt uns Fotos von Pyro-Aktionen, die mit behördlicher Genehmigung stattfanden. Fan-Aktionen aus den Jahren 2006 bis 2010.

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
“Die richtig wirklich mit Ordnungsamt usw. zusammen war dann eine FCK-Geschichte mit Folienfahnen, wo man dann den Schriftzug FCK mit Feuer hinterlegt haben. Das war 2006 im Oktober im Heimspiel gegen Sachsen Leipzig. Und das war eigentlich der Startpunkt wo man auch hier im Verein das erste Mal so ein bischen überlegt hat: Ok man kriegt ja auch legalem Wege was über die Bühne was uns zufrieden stellt, was aber auch den Verein zufrieden stellt, weil er keine Strafe bezahlen muß.
Frage: Und ist nie was passiert?
Nein, Null.”

Die Aktionen mit Bengalischen Lichtern fanden mit Genehmigung des  Ordnungsamtes statt. Die Baulichen Bedingungen hier lassen das zu. Selbst der Verein hatte nichts dagegen, wenn im eigenen Stadion kontrolliert gezündelt wurde.

Lutz Fichtner (Geschäftsführer Chemnitzer FC)
“Fakt ist, dass wir uns als Verein dort nicht von Vornherein der Sache verschlossen haben. Einschließlich eben Polizei, Fanprojekt, Fanbeauftragte, das wir dort den Dialog gesucht haben mit den Fans. Und das wir also dann dort auch entsprechende Absprachen über teilweise kontrollierte Aktionen getroffen haben.”

Das behördlich genehmigte Zündeln von Chemnitz spricht sich rum. Nach einer bundesweiten Fandemo im Oktober 2010 in Berlin verabreden  Ultragruppen, eine Aktion zur Legalisierung von Pyrotechnik zu starten. Ihr Vorbild ist der sogenannte 'Chemnitzer Weg', wie das Beispiel aus Sachsen in der Szene auch genannt wird. Es kommt zum Kontakt mit dem DFB. Seine Vertreter, unter Ihnen der ehemalige Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn, stehen dem Ansinnen der Ultragruppen  durchaus aufgeschlossen gegenüber.

Ronny Licht  (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
“Wir haben halt gesagt: ok DFB, DFL hier: wir haben ein Konzept. Wir können beide aus diesem Teufelskreis heraus, der darin besteht: Pyrotechnik wird gezündet, Ordner, Polizeieinsatz, Anzeigen, Strafen für den Verein, Stadionverbote – das ganze Prozedere was da hinten dran hängt. Da wollten wir raus. Und wir haben dem DFB ein Konzept vorgelegt, wie wir beide da raus kommen.”  

Das Konzept der Ultra-Initiative:
kontrolliertes Abbrennen von begalischen Feuern und Nebeltöpfen in ausgewiesenen Zonen. Nur in der Halbzeitpause oder vor und nach dem Spiel. Von Personen, deren Namen bekannt sind.    

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
“Der DFB hat in Aussicht gestellt, dass wir an lokalen Standorten, die das Konzept, wie wir hier schon haben, Pilotprojekte durchführen können, wenn wir im Gegenzug zeigen, dass die Kampagne stark genug ist. Unser Zeichen dafür war fünf Spieltage ohne Pyrotechnik zum Anfang der Saison. Das hat auch einem, ich sag mal zu 98 Prozent geklappt, bis auf kleinere Ausnahmen. Ja, dann waren wir eigentlich auf einem ganz guten Weg. Der große Knacks kam ja dann als Spahn nach Katar ging und urplötzlich beim DFB die ganzen Hardliner plötzlich wieder in den Vordergrund setzen konnten, die vorher -aus welchen Gründen auch immer – im Hintergrund geblieben sind.”

Anfang September werden die Gespräche von der DFL und dem DFB  ausgesetzt. Helmut Spahn da kein Sicherheitsbeauftragter mehr.

Christian Bieberstein (Chosen Few Hamburg)
“Man hat halt viel geredet und es ist nix bei rungekommen. Das ist letztendlich nicht einmal der Versuch hat gefruchtet. Und ich glaube weniger das Ergebnis enttäuscht hat, als die Art und Weise wie das der DFB oder – in dem Fall auch die DFL – gemacht haben.”

Michael Gabriel (Koordinierungsstelle Fanprojekte)
“Ich glaube, dass die beiden Apperate dieser Debatte noch nicht gewachsen war. Also das innherhalb der DFL und dem DFB die Strukturen noch nicht so sind und das Verständnis wie wichtig der Umgang mit Fankultur ist – noch nicht so ausgeprägt ist, dass letztendlich die erst einmal innehalten müssen und innerhalb der Verbände ihre Strukturen stärken müssen, auch ein Selbstverständnis entwickeln müssen, wie sie damit umgehen. Das ist alles versäumt worden, leider.”

In der Folge gibt der DFB ein Rechtsgutachten in Auftrag. Die Szene reagiert auf die ihr eigene Art und Weise. In deutschen Stadien wird ab da besonders kräftig gezündelt. Den Höhepunkt bildet der Auftritt der Dresdener Dynamos Ende Oktober in Dortmund. Plötzlich ist das Thema Pyrotechnik in aller Munde. Und der neue DFB-Sicherheitsbeauftragte sitzt zwischen allen Stühlen.

Hendrik Große Lefert (DFB-Sicherheitsbeauftragter am 28.10.2011)
„Ich denke das Thema Pyrotechnik ist ein wesentliches für die Fans. Das allerdings auch für Teile der Fans. Wir müssen ja auch sehen, dass wir in weiten Teilen auch Zuschauer in Stadien haben, die das vielleicht gar nicht wollen, die vielleicht nicht das Sprachrohr haben. Für uns ist wichtig, Gefahren für Zuschauer abzuwehren. Wenn uns diesbezüglich gute Konzepte vorliegen, dann reagieren wir auch darauf. Aber wir haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Weil wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Das wird uns dann gegebenenfalls auch Rahmenbedingungen und Schranken setzen.“  

Fünf Tage nach diesem Interview liegt das Ergebnis des Rechtsgutachten dann plötzlich vor. Die Diskussion über die Legalisierung der Pyrotechnik: sie wird von der Führungsspitze des deutschen Fußballs abrupt beendet.

Dr. Theo Zwanziger (DFB-Präsident am 02.11.2011)
„Pyrotechnik hat im Stadion nichts zu suchen. Sie ist illegal, sie entspricht nicht den gesetzlichen Vorschriften. Und das heißt: wenn es gemacht wird, dann begeht man einen Gesetzesverstoß. Und auf dieser Grundlage muß – so weit die Kapazitäten reichen – eingeschritten werden.“

Zwei Wochen später landet das Thema Pyrotechnik in Fußballstadien dann beim Bundesinnenminister. Ein lange verabredeter 'Runder Tisch zur Gewalt' gerät zur Generalabrechnung mit den Ultras.

Hans-Peter Friedrich (Bundesminister des Innern)
„Es kann über diese Frage Pyrotechnik keine Diskussion geben. Das muß draussen bleiben aus den Stadien. Und das müssen die Fans auch begreifen und akzeptieren“

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
„Man muß klipp und klar klarstellen: Pyrotechnik ist keine Gewalt. Pyrotechnik ist Unterstützung und Support. Das das jetzt noch öfters mal vermischt wird, ist schade. Dafür sind wir aber da, das ein bischen aufzuklären.“

Bengalische Fackeln in der Kurve.
Für Ultrafans ist dies ein Wesenskern ihrer eigenen Kultur.

Christian Bieberstein (Chosen Few Hamburg)
„Pyro, das gehört einfach dazu. Das ist ein Stilmittel. Wie ein Fahne. Das belebt auch die Kurve. Und das sieht auch einfach nett aus. Das ist einfach ein weiterer Teil der Fankultur. Das ist schon seit Jahren in Deutschland.“

Ronny Licht (Ultra Chemnitzer FC)
„Es ist ein Stück Freiheit, ein Stück Leben wo man auch optisch auf sich aufmerksam macht. Was natürlich auch die Mannschaft mitbekommt: he, unsere Jungs sind und so weiter. Das gehört schlicht und ergreifend mit dazu. Es ist nichts anderes als eine Schwenkfahne oder ein Doppelhalter. In unserem Bewußtsein.“

Ein Bewußtsein dass nicht überall auf Gegenliebe stösst. Bei dieser Bundesligapartie in Bremen werden zum Beispiel Sprengstoffspürhunde eingesetzt. Sie sollen dafür sorgen, dass keine Pyrotechnik ins Stadion kommt. Doch eingefleischte Fans kennen genug Wege, die Kontrollen zu umgehen.  Ob in der Schuhsohle, in Push-up-BHs oder mit Hilfe von Catering- oder Securityfirmen.

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
„Wer will bekommt alles rein. Alles andere ist illusorisch. Wir bräuchten im Endeffekt Flughafenkontrollen, um das zu verhindern.“   

Bengalische Fackeln, Rauchtöpfe und Kanonenschläge – all das kann man im Internet bestellen. Problemlos zu jeder Jahreszeit. Ohne Risiko ist das unkontrollierte Zündeln nicht.

Das zeigte sich Ende Februar 2010 in Bochum als Nürnberger Fans im Gästeblock ein 1000 Grad heißes Feuerwerk veranstalteten. Am Ende gab es zwei Schwerverletzte.
Gesundheitliche Folgen haben immer öfter auch das Zünden von Böllern und Kanonenschlägen. Sie führen zu Knalltraumata und Explosionsverletzungen. Mittlerweile versucht die Ultraszene darauf zu reagieren.

Christian Bieberstein ('Chosen Few Crew' Hamburg)
„Wir können uns ja nicht hinsetzen und sagen: wir haben keine Fehler gemacht. Also auch Böllerwürfe gehören dazu. Es gab ja auch schon Verletzte innerhalb der Gruppierung oder sogar innerhalb der Fanszene als einer verletzt wurde durch einen sinnlosen Böllerwurf. Aber genau da muß man ja reingehen. Wenn man endlich einen Weg der Legalisierung finden, kann man auch eventuell genau diese Gefahren ausgrenzen. Man gibt den Gruppen auch ein Stück weit mehr Verantwortung.“

Die Selbstregulierung der Ultraszene. Bei Rot-Weiß Essen wurde erst kürzlich ein Fan aus dem Block geprügelt, weil er einen Kanonenschlag auf einen Ordner warf. Doch nicht jede Fanszene reagiert so konsequent.

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
„Das ist natürlich ein langer Prozeß. Weil da natürlich auch viele Dinge dabei sind, gerade die Leuchtspur haben eine gewisse Faszination, die über Jahre gewachsen sind und wo man jetzt den Leuten klarmachen muß: passt auf wir wollen es in unserer Kurve nicht mehr haben.“

kanonenschlag rostock 19112011

Ein Problem bleibt. Denn nicht jede Fanszene hat sich der Initiative 'Pyrotechnik legalisieren' angeschlossen. Die Ultras von Hansa Rostock sind nicht dabei. Sie zündeln fröhlich weiter, schrecken – wie hier im Spiel gegen St.Pauli – selbst vor Attacken auf gegnerische Fans nicht zurück. Diese Bilder haben unter anderem dazu geführt, dass Rostock der Trikotsponsor abgesprungen ist.

Was bleibt?!
Eine Diskussion, die nur Verlierer kennt. Denn in den Stadien wird weiter gezündelt. Wie auch am vergangenen Wochenende. Union-Fans in Rostock, Schalke-Supporter in Dortmund. HSV-Ultras in Hannover. Vertreter des DFB wollen sich aktuell nicht mehr zum Thema Pyrotechnik äußern. Nicht einmal das eigene Gutachten zur Pyrotechnik will man öffentlich machen.

Ronny Licht (Kampagne 'Pyrotechnik legalisieren')
„Das ist ja im Endeffekt: dieser Status-Quo den es auch schon vor der Kampagne gab, dass die Verbände einfach auch verstehen müssen, Leute ihr bekommst schlicht und ergreifend nicht weg. Last uns dann doch wenigstens gemeinsam an einer seriösen Lösung arbeiten. Da haben wir beide etwas davon. Und das Angebot von uns steht immer noch.“

Der 'Chemnitzer Weg' – eine Lösung?
Momentan setzt der DFB eher auf Verbote, als auf Dialog mit den Ultras.

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