Rennen hinter den Rennen

Dopende Sportler können sich inzwischen auf Jahre hinaus nicht mehr sicher sein, nicht doch noch als Betrüger entlarvt zu werden. Ein Einblick in den Wettlauf zwischen Dopern und Wissenschaftlern.

Mit freundlicher Genehmigung dokumentieren wir den Artikel aus der Radsportzeitung TOUR 10/2005.

Es geht viel um Schnelligkeit im Radsport. Nicht nur auf dem Fahrrad. Wer zu verbotenen Mitteln greift, achtet darauf, dass die Spuren der unerlaubten Medikamente möglichst schnell aus dem Körper verschwinden. Oder noch besser: Man achtet darauf, stets schneller die Wirkstoffe zu wechseln als diese von den Fahndern in den Antidopinglaboren nachweisbar sind. Immer wieder stellten die Dopingfahnder in der Vergangenheit fest: Sie laufen dem Fortschritt beim Doping hinterher. Mit freundlicher Genehmigung dokumentieren wir den Artikel aus der Radsportzeitung TOUR 10/2005.

Es geht viel um Schnelligkeit im Radsport. Nicht nur auf dem Fahrrad. Wer zu verbotenen Mitteln greift, achtet darauf, dass die Spuren der unerlaubten Medikamente möglichst schnell aus dem Körper verschwinden. Oder noch besser: Man achtet darauf, stets schneller die Wirkstoffe zu wechseln als diese von den Fahndern in den Antidopinglaboren nachweisbar sind. Immer wieder stellten die Dopingfahnder in der Vergangenheit fest: Sie laufen dem Fortschritt beim Doping hinterher. Bis ein Kontrollverfahren so ausgereift ist, dass es vor Gericht Bestand hat, sind andere Schnellmacher in Umlauf.

Inzwischen wissen die Fahnder, dass für Doping nicht nur Medikamente missbraucht werden, sondern eigens spezielle Mittel für den Sport entwickelt werden. Das förderten die Ermittlungen in der US-amerikanischen Dopingküche Balco zutage. Nur durch einen Insidertipp kamen die Fahnder an die neu geschaffene Substanz THG, entwickelten ein Nachweisfahren und erwischten bei nachträglichen
Analysen unter anderen den britischen Leichtathletik-Europameister Dwain Chambers. Seit den Balco-Ermittlungen und nun dem Fall Armstrong müssen die Doper dennoch aufpassen: EPO etwa war 1999 verboten, ließ sich aber bei den damals zugelassenen Dopingtests nicht nachweisen. Dieser Vorsprung ist nun trügerisch: Seit 2003 gilt der WADA-Code als internationales Antidopingrecht, damit verjähren Verstöße erst nach acht Jahren: Rein theoretisch muss der Tour-Sieger von 2005 bis zum Jahr 2013 darum bangen, ob nicht findige Wissenschaftler noch etwas Verbotenes in seinen Proben finden.

Doch welche verbotenen Mittel werden derzeit überhaupt verwendet? Und wie weit hinkt die Wissenschaft hinterher?

EPO UND SEINE BRÜDER

EPO ist trotz des bestehenden Nachweisverfahrens weiter im Einsatz. Dafür sprechen nicht nur Insider-Informationen. Bei den Bluttests, die vor dem Start bei Radprofis vorgenommen, werden, finden sich immer wieder auffällige Werte. Der Hämatokritwert, der die festen Bestandteile im
Blut beschreibt, wird immer wieder jenseits der erlaubten 50-Prozent-Marke gemessen - ein Hinweis auf EPO-Doping, wenn auch kein zuverlässiger. Um dieses Verfahren abzulösen, hat Dr.
Andreas Breidbach vom US-amerikanischen Antidopinglabor in Los Angeles einen Vortest entwickelt, der auf einer Urinanalyse basiert und verlässlicher sein soll. Proben, die das neue Testverfahren als verdächtig herausfiltert, sind laut Breidbach dann höchstwahrscheinlich auch in einem richtigen EPO-Test positiv, der als Konsequenz folgen sollte. Weil der Test auch kostengünstiger sein soll, könnten deutlich mehr Tests auf EPO mit den vorhandenen Budgets durchgeführt werden als bisher.

Doch EPO allein ist nicht das Problem. Es sei möglich, dass die Nachfolge-Medikamente Dynepo und Cera durch die bestehenden Testverfahren analysiert werden können, aber sicher sei das nicht, sagt Breidbach. "Meines Wissens hat noch kein Labor von den Herstellern eine Referenzsubstanz erhalten, um das ausprobieren zu können." Schwierig bleibt vielleicht auch der Nachweis von doppeltem (dimerem) EPO, das als um ein Vielfaches wirkungsvoller gilt als herkömmliches (monomeres) EPO. Ein Forschungsteam der Harvard-Universität in Boston hat 1997 in einem Versuch zwei EPO-Moleküle an den Enden zusammengefügt. "In Tierversuchen hat dieser Wirkmechanismus bereits beeindruckend funktioniert. Ähnlich wie bei dem Designer-Steroid THG dürfte es bei genügend krimineller Energie und ausreichender Finanzierung kein Problem sein, dimeres EPO zu produzieren, um es im Leistungssport zu missbrauchen", schätzt Breidbach. Die Dosierung müsste wohl viel geringer sein als bei herkömmlichem EPO, außerdem ist es im Urin schwerer nachweisbar, das bestehende Nachweisverfahren ist dafür noch nicht ausgelegt.

NEUE TESTS ALS DAMOKLESSCHWERT

Im Radsport soll auch das Wachstumshormon verbreitet sein. Aber das Testverfahren, das Professor Christian Strasburger entwickelt hatte und das bei den Olympischen Spielen in Athen im vergangenen Jahr eingeführt worden war, hat noch kein einziges positives Ergebnis erbracht. Das Problem: Das Verfahren kann hGH bis höchstens 36 Stunden nach der letzten Spritze nachweisen. Zwar gibt es ein weiteres Nachweisverfahren, das mittels Markern die körpereigenen Reaktionen auf eine hGH-Gabe feststellt, die über Wochen nachweisbar sind. Dieses Verfahren ist aber noch nicht im Einsatz, weil es von individuellen Einflüssen und natürlichen Schwankungen abhängig ist und noch weiter entwickelt wird. Strasburger ist ziemlich sicher, dass "in Zukunft beide Testverfahren nebeneinander verwendet
werden.

Mit Hilfe unangekündigter Trainingskontrollen sollte dann kein Athlet mehr ungestraft Wachstumshormon anwenden können". Dank der Methodik aus Vaterschaftstests lässt sich nun auch Doping mit fremdem Blut entdecken, das mit künstlichem EPO angereichert wird, bevor es in den Körper des Sportlers kommt. Zeitfahr-Olympiasieger Tyler Hamilton und der spanische Radprofi
Santiago Perez wurden im vergangenen Jahr bei dieser Dopingmethode erwischt - offensichtlich war die Szene von dem neuen Testverfahren überrascht.

Nicht nachweisbar ist derzeit jedoch Doping mit eigenem Blut. Mit dem dazu nötigen apparativen und finanziellen Aufwand ist es möglich, sich auch für unterwegs eine rollende Blutbank anzulegen, auf die man jederzeit zurückgreifen kann. Ob das Designersteroid THG ein Einzelfall war, ist auch nicht sicher. Chemisch ist die Herstellung anderer
veränderter Steroide kein Problem. Solange die Analytiker bei diesen Substanzen nicht wissen, wonach sie genau suchen sollen, finden sie auch nichts.

Es macht also vor dem Hintergrund des Balco-Skandals Sinn, eine Eiszeit für die Testproben beginnen zu lassen. Doch der Leiter des Kölner Dopinglabors Wilhelm Schänzer bewahrt keine Proben länger als ein Jahr auf. Ihm fehlen die Kapazitäten für die Lagerung und das Geld, um eine große Zahl von Proben tiefgekühlt aufzubewahren. Die Kosten pro Probe und Jahr schätzt er auf rund zehn Euro. Bisher hat Schänzer nach eigenen Worten weder von Antidoping-Agenturen noch von Sportverbänden den Auftrag, Proben länger als ein Jahr aufzubewahren. Sollte sich das bald ändern, weil die späten Test-Ergebnisse aus der Tour 1999 das empfehlen, dürfte manche Siegprämie im Wortsinne erst einmal auf Eis liegen.

Drucken