Zwei Kapseln Andriol - die Geschichte der Anne-Kathrin Elbe


ak klein.jpgAnne-Kathrin Elbe erhielt im Herbst 2007 die 'Heidi- Krieger -Medaille'. Für ihre "bewiesene Charakterstärke und ihren Mut", wie es in der Begründung des Doping -Opfer -Hilfevereins heißt.

 

Ihre Geschichte: Anne-Kathrin Elbe ist mehrfache deutsche Jugend- und Juniorenmeisterin im Sprint, trainiert in Leverkusen. Auf ihr Teenagerleben wollte die jetzt 20jährige lange Zeit nicht zurückblicken. Mit dem nötigen Abstand, gelingt ihr das jetzt.

Ihre Geschichte ist einmalig im deutschen Sport. Sie zeugt von Mut, handelt von Zweifeln und endet schließlich vor Gericht. Es ist die Geschichte der Anne-Kathrin Elbe. Rückblick: das Jahr 2003. Die 16jährige Anne-Kathrin Elbe kommt in die Trainingsgruppe von Thomas Springstein. Der gilt als Erfolgscoach. Bei ihm zu trainieren - für Sprinterinnen eine Auszeichnung.

 

Anne-Kathrin Elbe (Sprinterin):

"Es gab so einen wie Aufnahmetests, sozusagen, daß man zu der Trainingsgruppe dazugehörte. Und der lief so ab, daß man erstmal ein Pate von irgend jemand wurde, den man die ganze Zeit beim Trainingslager beim Essen bedient hat. Wenn der halt meinte 'Ja hol mir mal ein Dessert', mußte man aufstehen und ihm ein Dessert holen. Und dann gab es halt, ich glaub wir haben damals ein Lied bekommen. Dazu mußten wir uns selber was dichten. Ich weiß es nicht mehr ganz genau. Und das mußten wir dann vorsingen. Oder nur die Melodie von dem Lied. Ja, da gab es halt so bestimmte Sachen, da mußte man Kopfstand machen und irgend etwas trinken, was die beim Abendessen aus allen möglichen Sachen zusammengemischt haben. Und das war eigentlich schon ganz spassig."

 

Thomas Springstein ist damals der 'Trainer des Jahres', ausgezeichnet vom Deutschen Leichtathletik Verband. Bei ihm übt auch Grit Breuer, Europa- und Weltmeisterin. Das Training ist hart, oft bis zur Grenze der Belastungsfähigkeit. Es ist die alte 'DDR-Schule': frei nach dem Motto, was dich nicht umbringt, macht dich hart und schnell.

 

Anne-Kathrin Elbe:

"Ich hab dadurch einen Riesen Sprung gemacht. Bin dadurch richtig schnell geworden. Aber das war natürlich für meinen Körper, für meine Füße - die anderen wußten schon, die Belastung ist hoch, sind da nicht 100 Prozent gelaufen. Und ich hab immer schön draufgeballert und im Endeffekt hatte ich dafür einen Ermüdungsbruch mir geholt. Und das hat dann natürlich wieder Pause gedauert. Das war nicht sehr angenehm."

 

Für Anne-Kathrin Elbe ist Thomas Springstein Vertrauens- und Respektsperson. Ihm widerspricht man nicht. Der Trainer wird schon wissen, was richtig ist. Und dann passiert das, was das Leben von Anne-Kathrin Elbe von Grund auf verändern wird.

 

Anne-Kathrin Elbe:

"Das fing halt an so ab und zu im Training, da gab es mal blaue Kapseln. Eigentlich hab ich mir darüber nie so richtig Gedanken gemacht, was es sein könnte. Ich hab ihn mal gefragt: ja, was ist das? Ja, das ist damit du das Training besser durchstehst. Ein Paar Vitamine, damit du einfach schneller regenerierst. Dann war für mich die Antwort da. So richtig stutzig bin ich erst geworden, als wir dann größere Mengen im Trainingslager bekommen haben. Die habe ich dann auch nicht genommen, sondern im Klo immer runter gespült mit noch einer Athletin. Davon hab ich dann durch Zufall, weil ich sie nicht weggeworfen hatte, noch welche da, aufgehoben. Auf den Fläschen stand halt die richtige Dosierung drauf, wieviel man am Tag nehmen mußte. Von ihm handschriftlich drauf geschrieben. (BLITZ) Wir haben in der Trainingsgruppe auch darüber gesprochen. Haben gesagt, ja der würde es wahrscheinlich nicht wagen uns was zu geben. Nachdem wir darüber gesprochen hatten, haben wir ein bischen rumgealbert und dann war das Thema vergessen."

 

Was die junge Sprinterin Anne-Kathrin Elbe zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Ihr Trainer Thomas Springstein hat eine zweifelhafte Vergangenheit. Anfang der 90er Jahre wurden zwei seiner Sportlerinnen mit dem Dopingmittel Clenbuterol erwischt. Der Fall Krabbe/ Breuer sorgte international für Schlagzeilen.

 

Ein Jahr unternimmt Anne-Kathrin Elbe nichts. Im Sommer 2004 spricht sie ihren Bundestrainer an. Der zeigt die Pillen einem Apotheker. Der erkennt die braunen Kapseln, mit dem Aufdruck ORG DV3, sofort. Andriol, ein Mittel, das das männliche Sexualhormon Testosteron enthält und auf der Doping-Liste steht. Ein Medikament dessen Nebenwirkungen gravierend sind. Das bei Frauen irreversible Schäden nach sich zieht, eine Vermännlichung zur Folge hat.

 

(Grafik):

- Akne

- Haarausfall

- Bluthochdruck

- Gedächtnisstörungen

- Blutbildveränderungen

 

Anne-Kathrin Elbe (Sprinterin):

"Und dann war ich, als er mir das erzählt hat erschrocken und dachte mir so: oh Gott: hast du das jetzt genommen?! Ich war mir auf einmal total unsicher und wußte auch nicht was ich meinem Körper vielleicht schon angetan hatte. Und war im ersten Moment halt total sprachlos. Wir haben dann überlegt: wie verfahren wir weiter, was machen wir als Nächsten?! Das kann man nicht auf sich sitzen lassen. Ich war 16 Jahre alt, als ich das bekommen hatte. Und ich wußte von Nichts. Und das fand ich schon ziemlich krass."

 

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Was nun und vor allem: wie weiter?! Anfang August 2004 macht sich Theo Rous auf den Weg. Er ist Anti-Dopingbeauftragter des Deutschen Leichtathletik Verbandes, will sich mit Anne-Kathrin Elbe und ihren Eltern treffen. An einer Autobahnausfahrt, in der Nähe von Kassel. Die Zeit eilt. Alles muß geheim bleiben, niemand darf von dem Treffen erfahren.

 

Theo Rous (DLV-Ehrenvorsitzender):

"Soviel Zeit sich zu empören hatte man nicht. Es mußte jetzt halt das Verfahren in Gang gebracht werden. Es kam eben auch hinzu, daß uns klar war, wenn wir Anzeige erstatten, daß Anne-Kathrin Elbe nun die Hauptperson sein wird. ON Und uns ging es auch darum, alles zu tuen, um jetzt das Mädchen zu schützen. In jegweder Hinsicht. Uns zunächst einmal dadurch, daß wir die Sache so geheim wie möglich machen, weil sie ja noch weiter bei ihrem Heimtrainer Springstein war, für die unmittelbare Zeit. Und was sich jetzt also nach der Erstattung der Strafanzeige ergibt, wie sich das Mädchen nun verhält, das ist ein enormer Einschnitt in ihr Leben geworden. Wie sich das Mädchen nun verhält, was sich die Eltern wünschen, da war zunächst für uns einmal wichtig: wir müssen dafür sorgen, daß das zunächst einmal nicht an die Öffentlichkeit kommt, um das Mädchen zu schützen."

 

Gegenüber dem Anti-Dopingbeauftragten Rous gibt Anne-Kathrin Elbe eine Erklärung ab. Beschuldigt ihren Trainer schwer. Fest steht: sie wird gegen Thomas Springstein aussagen. Zur Not auch vor Gericht. Und den Verein wechseln. Nur weg von diesem Trainer.

 

Anne-Kathrin Elbe:

"Für mich war eigentlich schon da klar, du gehst nach Leverkusen. Ja, das habe ich dann da mitgeteilt. Dann haben die Kontakt gesucht. Das war sozusagen mein Deal: ich sage nur aus, wenn ich einen anderen Verein hab, sonst hätte ich keinen Sport weiter machen können oder wäre da ziemlich dolle unter gegangen."

 

Im September 2004 durchsucht die Polizei die Wohnung von Thomas Springstein. Die Ermittler werden fündig. Anabolika, Wachstumshormon, verdächtiger e-mail Verkehr.

 

Thomas Springstein (Trainer):

"Ich kann mit ruhigen Gewissen sagen, daß ich immer für meine Sportler da war, alles gemacht habe. Niemals irgend welche verbotenen Substanzen ihnen verabreicht habe. Und ich habe keinen Fehler gemacht. Auf gar keinen Fall!"

 

Können diese Augen lügen? Für Anne-Kathrin Elbe beginnt unterdessen in Leverkusen ein neues Leben. Andere Trainingsgruppe, eigene Wohnung, neue Freundinnen. Freundinnen, die Anne-Kathrin Elbe sie so nehmen wie sie ist, ihren Entschluß auszusagen, respektieren.

 

Lisette Thöne (Freundin):

"Ich find es hart, das man unwissenden Jugendlichen Doping gibt und sagt das sind Vitamintabletten. Das man nicht über die Konsequenzen nachdenkt, was dann passieren kann. Man sieht ja oft genug, daß die Leute deswegen sterben. Und bei Jugendlichen schlägt es wahrscheinlich noch ganz anders an. Ich find es einfach unverantwortlich, daß man so etwas machen kann."

 

Anne-Kathrin Elbe (Sprinterin):

"Wenn man so etwas jemanden antut, er wußte ja genau was er tut, da hat man eine gewisse Angst vor ihm. Oder hatte ich zumindestens. Frage: Und dann nicht mehr. Und auch keinen Respekt mehr? Der Respekt fiel in dem Moment weg, wo ich es erfahren habe, was er mir, was er uns angetan hat oder vielleicht auch noch anderen Athleten."

 

Im Januar 2006 kommt es in Magdeburg zum Prozeß. Thomas Springstein im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, begleitet von seinen Anwälten. Auch Anne-Kathrin Elbe ist geladen. Der Weg in den Gerichtssaal fällt ihr schwer. Hier im Mittelpunkt der Medien zu stehen ist unangenehm.

 

Anne-Kathrin Elbe:

"Als ich zum ersten Mal beim Prozeß in der Mitte saß und alle um mich drumrum. Das war sicherlich nicht leicht. (BLITZ) Die ersten paar Wörter waren sicherlich bestimmt auch nicht flüssig. Wenn ich einmal im Erzählen bin, dann geht das, da fühle ich mich auch sicherer. Und dann war auch die Angst etwas weg vor dem Herrn Springstein."

 

Nach nur sieben Verhandlungstagen endet der Prozeß mit einem Vergleich. Wegen Dopings an Minderjährigen wird Thomas Springstein zu einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Auf Bewährung. 14 Zeugen bleiben ungehört, viele Fragen ungeklärt. Zum Beispiel: was es mit dem E-mail Verkehr des Thomas Springstein wirklich auf sich hat.

 

Theo Rous (DLV-Ehrenvorsitzender):

"Wir haben ja dann nochmal Strafanzeige erstattet gegenüber den Personen, die dann auf der Festplatte in diesem e-mail-Verkehr aufgetaucht waren. Das war ein spanischer Arzt, das war ein Manager und das waren andere. Da haben wir Strafanzeige erstattet. Gegen diese Personen und auch gegen Unbekannt. Und das ist dann alles in diesem Deal, daß also nur Anne-Kathrin Elbe als Grundlage der Verurteilung dient, alles untern Tisch gefallen."

 

Thomas Springstein, schweigt. Bis heute kommt von ihm kein Wort der Entschuldigung gegenüber Anne-Kathrin Elbe, keine Silbe des Bedauerns. Und Anne-Kathrin Elbe. Sie erhält am kommenden Freitag in Berlin die 'Heidi-Krieger-Medaille'. Für ihre "bewiesene Charakterstärke und ihren Mut", wie es in der Begründung des Doping-Opfer-Hilfevereins heißt. Die mehrfache Jugend- und Juniorenmeisterin ist die erste aktive Sportlerin, die auf diese Weise geehrt wird.

 

Lisette Thöne (Freundin):

"Ich fands einfach mutig, daß jemand endlich mal mit der Sprache rausgerückt ist. Einfach daß es jemand mal gemacht hat, weil es einfach ein Vorbild für alle ist. Das sie nicht einfach das so zulassen, daß man ihnen Doping gibt."

 

Anne-Kathrin Elbe:

"Für mich war es selbstverständlich was ich getan habe. Weil: es kann nicht sein so etwas, daß dein Trainer dir hinter deinem Rücken irgend etwas unterschiebt. Und das auch noch absichtlich. Und deinen ganzen Körper damit zerstört. Ich weiß nicht: die Nebenwirkungen, von denen was ich bekommen habe, waren über eine ganze Seite lang. Und als ich mir die durchgelesen habe, war mir schlecht. Also: ich wollte gar nicht wissen, was ich meinem Körper getan hab."

 

Anne-Kathrin Elbe will Bestzeiten laufen. Und in der 4x 100 Meter Staffel an den Olympischen Spielen teilnehmen. Wer ihre Geschichte kennt, weiß, daß sie dies erreichen kann.

 

'sport inside'

WDR - 17.09.2007

Bericht: Fred Kowasch / Ralf Meutgens

Kamera: Bastian Baumöller/ Mark Lange

Schnitt: Ellen Röthinger

Länge: 10:13 min

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